Die Fotografie ist ein ideales Instrument, um die Nuancen der Zeit, ihre Auswirkungen, ihre Folgen, aber auch ihre Voraussetzungen aufzuzeigen. Nicht das Vorher und Nachher, sondern das Wie und Warum in einer ewigen, vermeintlichen Gleichzeitigkeit von Ereignissen, verdichtet sich in einem absurden und doch unwahrscheinlichen Versuch, die Gegenwart festzuhalten.
Giancarlo Lamonacas Interventionen stellen in erster Linie eine Herausforderung an die Idee von Realität dar, die dem Konzept der Fotografie inhärent ist und eröffnen neue Fronten des Dialogs mit dem Bestehenden. Es handelt sich um physische und symbolische Aktionen, die die Faszination des legitim Mehrdeutigen widerspiegeln. Der Impuls der Aufzeichnung genügt nicht: Die Zielsetzung ist zu begreifen, dass jedes realistische Element etwas Mehrdeutiges, Ausweichendes, Rätselhaftes verbirgt oder impliziert. Es ist das Bedürfnis, die bekannte, reale Welt anhand eines konzeptuellen Grundschemas um eine verfremdende Dimension zu erweitern und auszudehnen und zu zeigen, wie jede Form der (Er-)Kenntnis in sich eine Art potenzielles und hypothetisches imaginäres Repertoire hütet. Ganz im Sinne von Werner Heisenbergs Aphorismus, wonach der Künstler in der Lage ist „die Wirklichkeit von innen zu durchdringen“, sind wir aufgerufen, nach dem zu suchen, was es nicht gibt, nach der möglichen Alternative, dem anderen Gesicht der Welt.
Es ist immer ein bisschen verrückt, die Grenzen des „Fotografierbaren“ überschreiten zu wollen. Es bedeutet, die ganze Zweideutigkeit der Fotografie zu entlarven, sich von ihrer verführerischen Fiktion beeindrucken zu lassen. Aber ist das nicht die ewige Mehrdeutigkeit oder Flüchtigkeit der Bilder: zeigen und verbergen zugleich, die Welt abbilden und sie gleichzeitig verändern? Auch in diesem Arbeitszyklus lässt sich alles immer wieder neu beobachten, umgestalten und anordnen. Es ist, als ob nichts jemals festgelegt und nie wirklich „gesehen“ werden kann. „Es ist in dieser nicht möglichen Begrenzung der physischen Welt“, schrieb der Fotograf Luigi Ghirri, „dass die Fotografie Bedeutung findet“.